Dankbarkeit

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Das Warum und Wie für dein Privat- und Berufsleben

Es ist der 23. Dezember 2022: Meinen Mann hat in der Nacht ein Magen-Darm-Virus überfallen. Wir haben noch keinen Weihnachtsbaum. Und ich stehe in strömendem Regen mit dem Baby im Kinderwagen an der Ampel, um die Große aus dem Kindergarten abzuholen, der heute früher schließt. Die Aussicht zwei weitere Stunden draußen zu verbringen, damit mein Mann möglichst lange Ruhe hat, hebt meine Stimmung auch nicht. Ich habe in dem Moment etwas Schlimmeres gedacht als „Scheibenkleister!“ Da war keine Spur von Dankbarkeit!

Doch mit so einer Stimmung konnte ich wohl kaum einen Tag vor Weihnachten im Kindergarten aufschlagen. Also hielt ich mir ein dickes fettes Stopp-Schild vor mein inneres Auge. Umdenken war angesagt! Auch wenn es mir in der Situation sehr schwerfiel positiv zu denken, es gibt immer etwas, wofür wir dankbar sein können. Ich habe zum Beispiel gedacht: „Du kannst dir nachher deine Hände mit warmem Wasser waschen! Und du hast auch schon alle Geschenke eingepackt.“ Solche Gedanken machen den Unterschied!

Grade in Zeiten wie diesen, in denen die Medien gespickt sind von schlechten Nachrichten, wo sich Regierungen zerfleischen, Kriege geführt werden und die Umwelt zerstört wird, ist es wichtiger denn je Wege aus der Negativspirale zu kennen, in die man sich hineindenkt.
Dabei ist es egal, ob die negativen Gedanken den privaten Bereich betreffen oder man Druck im Job hat.

In 4 Schritten zu mehr Dankbarkeit

Zugegeben, es ist gar nicht so leicht umzuschalten. Man durchläuft dabei vier Schritte:

  1. Die Gedanken kommen ganz automatisch. Unbewusst sind wir undankbar, geben uns unserer Stimmung hin: „Scheibenkleister! Ausgerechnet heute! Immer muss mir das passieren!“
  2. Im nächsten Schritt folgt die Bewusstwerdung der Undankbarkeit. Schlüsselvoraussetzung hierfür ist, etwas ändern zu wollen und sich nicht dafür zu schelten in bestimmten Momenten undankbar zu sein. Dies zu akzeptieren, macht es leichter: „Oh, jetzt habe ich schon wieder ‚Scheibenkleister‘ gedacht.“
  3. Das Verkehren der bewussten Undankbarkeit in bewusste Dankbarkeit ist der dritte Schritt: „Die Situation ist grade alles andere als ideal, aber ich lasse mich davon nicht runterziehen.“
  4. Der ultimative Schritt ist, unbewusst dankbar zu sein: „Wie schön, dass ich meine große Tochter nun abhole. Die ist schon ganz aufgeregt und freut sich so sehr auf Weihnachten!“
4-Stufen-Modell der mentalen Veränderung

In einem Selbstversuch, in dem ich negative Gedanken gefastet habe, hat es etwa drei Monate gedauert, bis ich die ersten drei Schritte sicher durchlaufen hatte. Du siehst, auch ich bin noch nicht in jeder Situation unbewusst dankbar. Das oben skizzierte Modell verdeutlicht dennoch praxisnah wie Veränderung als Chance begriffen werden kann.

Warum es sich lohnt dankbar(er) zu sein

Dankbarkeit ist ein wesentliches Element der positiven Psychologie und gilt als Grundpfeiler zu vermehrtem Glücklichsein. Die Vorteile, die aus ihr entstehen sind vielfältig. So sind Menschen, die große Dankbarkeit verspüren eher hilfsbereit, empathisch und vergleichen sozialen Status weniger oft, was auch mit einer weniger materialistischen Natur einhergeht. Zudem wirkt Dankbarkeit hedonistischer Adaption entgegen: nach einem, in diesem Fall positiven, Ereignis kehrt man weniger schnell auf das normale Stimmungsniveau zurück. Sprich, wir genießen unsere Zufriedenheit länger. Dankbarkeit macht uns auch energiegeladener, hoffnungsvoller, vergebender und, für mich fast am wichtigsten, lässt uns mehr positive Emotionen erleben und erinnern. Diese Fähigkeit formt unsere Erwartungen und unser Urteilsvermögen hin zu einem positiveren und pro-sozialen Denken. Weiterhin führt Dankbarkeit nicht nur dazu, sich gut zu fühlen, sondern auch Gutes zu tun.
Abgesehen von den emotionalen Auswirkungen von Dankbarkeit, konnten Studien auch zeigen, welche positiven Effekte sie auf unsere Gesundheit hat. Dankbarkeit lässt Menschen sich weniger niedergeschlagen, ängstlich oder allein fühlen. Sogar physische Anzeichen wie Kopfschmerzen, Husten oder Unwohlsein verringerten sich. Teilweise konnte sogar besserer Schlaf nachgewiesen werden.
Dankbarkeit hilft den evolutionären Fokus auf Negatives zu verkleinern und sich stattdessen auf Positives zu konzentrieren, quasi dem „positivity bias“, der Positivitätsverzerrung. Evolutionär deshalb, weil es früher überlebensnotwendig war, die eine giftige Frucht zu kennen, die man nicht essen darf, als die hunderte essbaren Früchte. Heute leben wir so behütet, umgeben von Airbags, Mindesthaltbarkeitsdaten, Health Apps, etc., dass wir uns darauf konzentrieren können, die eigene Geisteshaltung bewusst zu steuern.

Lange war nicht klar, ob glücklichere Menschen dankbarer sind oder ob größere Dankbarkeit zu gesteigertem Glück führt. Forschungsarbeiten, besonders von Robert Emmons und Sonja Lyubomirsky, aber auch Barbara Fredrickson und Martin Seligman, zeigen, dass jeder von uns sein persönliches Level ‚Glück zu empfinden‘ steigern kann, indem er regelmäßig Dankbarkeit praktiziert. Das geht über das beiläufige „Danke! Tschüss!“ hinaus. Wirklich zu benennen, wofür man jemandem dankt, ist ein Weg. Zum Beispiel der Kassiererin zu danken, dass sie heute besonders geduldig war.

Dankbarkeit lässt sich üben

Neben dem Innehalten in alltäglichen Situationen wie oben beschrieben, gibt es konkrete Übungen, die Dankbarkeit nachweislich fördern. Zwei gängige, die ich selbst sehr gerne und regelmäßig mache, stelle ich dir hier vor:

Dankbarkeitstagebuch

Wie der Name schon suggeriert, wird im Dankbarkeitstagebuch darüber reflektiert, wofür man dankbar ist. Diese Reflexion hat zum Ziel, die kleinen Dinge im Leben stärker wertzuschätzen. Übt man eine Zeit lang, fallen einem diese Kleinigkeiten immer häufiger auf – man wird unbewusst dankbar.
Obwohl die Übung denkbar einfach ist, gibt es ein paar Tipps wie man den Lerneffekt steigern kann.
Die Reflexion darüber, wofür man dankbar ist, kann in Gedanken passieren. Zu empfehlen ist es jedoch, seine Gedanken wirklich in einem Tagebuch niederzuschreiben. Dafür sollte man etwa 15 Minuten Zeit einkalkulieren. Weiterhin gilt „Qualität vor Quantität“. Das bedeutet, dass die Situation, für die man dankbar ist, möglichst genau beschrieben wird und man nicht zu oberflächlich bleibt.
Priorisiert werden sollten persönliche Interaktionen vor materiellen Dingen.
Nun bedeutet Tagebuch eigentlich, täglich zu schreiben. Wird einem das zu schnell langweilig oder verkommt das Ritual zu einem Automatismus, ist eine geringere Frequenz oft besser. Ein Mal wöchentlich Dankbarkeitstagebuch zu führen hat in einer Studie von Sonja Lyubomirsky die besten Ergebnisse erzielt. Egal wie oft, wichtig ist es, seinen Wohlfühl-Rhythmus zu finden, dranzubleiben und ebendies auch zu feiern. Stellt sich dann doch ein „Tun um des Tuns Willen“ ein, ist ein wirksamer Ausweg, jemanden einzubeziehen. Z.B. kann man einen Freund oder eine Bekannte davon überzeugen mitzumachen, sodass man sich gegenseitig motiviert oder auch seine dankbaren Momente mit jemandem teilen kann.

Dankbarkeitsbrief 

Der Dankbarkeitsbrief hat den stärksten Effekt, wenn man ihn für jemanden aus dem eigenen Umfeld aufsetzt, z.B. eine Freundin, einen Verwandten, eine alte Lehrerin, einen ehemaliger Chef, eine Kollegin etc. Die Person sollte direkt im Dankbarkeitsbrief angeschrieben werden. Wie im Dankbarkeitstagebuch auch, reflektiert man beim Schreiben seines Dankbarkeitsbriefs positive Momente. Was hier besonders ist, ist, dass es die Beziehung zu der adressierten Person nachhaltig stärkt.
Man sollte sich 10 Minuten Zeit nehmen, um einen Brief zu formulieren, der seine tiefe Dankbarkeit für eine konkrete Tat beschreibt. Es sollte möglichst genau beschrieben werden, an was man sich erinnert und wie oft man an diese Situation zurückdenkt.
Das Verfassen des Briefs wirkt für einen selbst schon sehr positiv. Er kann verschickt werden, muss aber nicht. Die stärkste Wirkung wird erzielt, wenn man sich mit dem Adressaten trifft oder einen Video Call macht, den Dankbarkeitsbrief persönlich vorliest, übergibt und gemeinsam über die gegenseitige Wahrnehmung reflektiert.
Als Abwandlung der Übung kann der Brief auch an jemanden adressiert werden, den man nicht persönlich kennt wie Rock Stars, Politiker, Autoren. Dann behält man ihn bei sich und er wirkt weniger effektiv.

Selbst wenn du eine oder beide Übungen nur über einen begrenzten Zeitraum anwendest, gehen Forscher davon aus, dass sie dein Wohlergehen nachhaltig beeinflussen. Durch das Wiederholen im Übungszeitraum, ich empfehle hier vier bis sechs Wochen, werden kognitive Gewohnheiten verändert:

  • Du nimmst eher Positives wahr
  • Du interpretierst Ereignisse eher positiv und
  • Du denkst positiver an Vergangenes.

Dankbarkeit in der Arbeitswelt

Glücklicherweise hält positive Psychologie immer mehr Einzug in Unternehmen. Guckt man sich noch einmal die obengenannten Vorteile des Dankbarseins an, liegen einige Argumente auf der Hand, weshalb Dankbarkeit auch im Büro praktiziert werden sollte.

Wer dankbar ist, bietet eher seine Hilfe an. Kollegen unterstützen sich gegenseitig, lernen mit- und voneinander und arbeiten so effizienter. Wer sich weiterhin über Dankbarkeit wertschätzt, etabliert eine bestimmte Kultur, die auch von Außenstehenden als positiv wahrgenommen werden kann.
Auch wenn man sich verrennt oder eine wenig geliebte Arbeit ausführt, lohnt es sich, diese zu unterbrechen, um kurz darüber nachzudenken, wofür man dankbar ist. Das hebt direkt die Stimmung und versetzt einen wieder in Tatkraft.
Dankbarkeit stärkt einen auch physisch. Die Krankheitsquote sinkt. Mitarbeitende, die selten über Unwohlsein wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Erkältungen klagen, leisten letztlich mehr als z.B. diejenigen mit einem schwächeren Immunsystem.

Ähnlich des Effekts aus dem Dankbarkeitstagebuch können auch im Team Methoden eingeführt werden, die Dankbarkeit und Reflexion von positiven Momenten fördern. Nimm z.B. eins deiner regelmäßigen Meetings und besprechen dort die Highlights der Woche. Oder erstellt euch eine Pinnwand mit den besten Rückmeldungen von Kunden, seht die Pinnwand wachsen und lasst auch kleines Lob darauf Platz finden. Es gibt unzählig viele Möglichkeiten, Dankbarkeit im Kollegenkreis Raum zu geben.

Kleine Veränderung im Denken – große Wirkung

Als Happiness Coach sage ich, finde selbst heraus, ob Dankbarkeit der Grundpfeiler ist, der auch deine Lebenszufriedenheit steigern kann. Und teste welche Übung dir in welchem Umfang am meisten hilft. Vertraue auf dein Gefühl und höre auf deine innere Stimme.
Als Business Coach sage ich, du musst privat glücklich sein, um das auch im Job ausstrahlen zu können. Eine dankbare Führungskraft zu sein, öffnet Türen, kann die Teamkultur verändern und färbt ab. Fordere dich selbst heraus.


Natürlich saßen wir Heiligabend unter einem schön geschmückten Weihnachtsbaum. Meinem Mann ging es besser, die Regenkleidung hing trocken im Schrank. Der Vortag war vergessen und tatsächlich spürte ich tiefe Dankbarkeit für alles, was diesen Moment wertvoll gemacht hat!
Das ist übrigens noch ein Trick: Sich zum Zeitpunkt der vermeintlichen Katastrophe zu fragen, ob wir uns künftig überhaupt noch daran erinnern und falls ja, ob wir nicht eher darüber lachen.

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